Die Rolle der Kultur für die Gesellschaft

Information
von Katrin Lorbeer
erschienen am 14. Oktober 2024

Bei unserer letzten Digital-Konferenz am 14. Juli hielt die Vorsitzende Katrin Lorbeer einen Vortrag über die Rolle der Kultur in der Gesellschaft. Ihr Beitrag enthielt viele wissenswerte Fakten und motivierende Argumentationshilfen für die ehrenamtliche Arbeit in Kulturfördervereinen. Auf vielfältigen Wunsch veröffentlichen wir hier das Manuskript. 

Die Rolle der Kultur für die Gesellschaft

Vortrag bei der Digitalkonferenz von MUTHEA am 14. Juli 2024
Autorin: Katrin Lorbeer, Vorsitzende vom MUTHEA 

Heute will ich über meinen Beruf, meine Passion und mein Hobby sprechen: Die Kultur 

Ich bin die Vorsitzende der Theaterfreunde in Karlsruhe, mit ca. 1300 Mitgliedern einer der größten Theaterfördervereine der Bundesrepublik.

Und wir sind zusammengeschlossen bei MUTHEA, der Bundesvereinigung für Musik- und Theaterfördervereine, die jedes Jahr nicht nur zuverlässig mehrere Millionen Euro für die Kultur geben, sondern sich dafür einsetzen, dass Theater saniert werden wie in Augsburg, in Mannheim, in Karlsruhe, Rostock oder Görlitz – Investitionen in die kulturelle Infrastruktur! 

Unter diesem Dach haben sich mittlerweile über 50 Theaterfördergesellschaften zusammengeschlossen mit ca. 30.000 Theaterfreunden in den Mitgliedsvereinen. Ich habe als Vorsitzende dieser kleinen Theaterförderfamilie eine Umfrage gemacht und dabei herausbekommen: Allein unsere Mitglieder fördern jedes Jahr mit über 2 Millionen Euro die Kultur! 

Förderlandschaft in Deutschland sieht folgendermaßen aus: Es gibt 20.500 Kulturfördervereine in Deutschland, von denen 86% rein ehrenamtlich arbeiten. Sie wird getragen von einer breiten Basis und von einem großen Engagement der Gesellschaft. Sie haben ca. 3,2 Millionen Mitglieder. In Baden-Württemberg kommen 31 Kulturfördervereine auf 100.000 Einwohner in Baden-Württemberg. 

Durch ihr Engagement schaffen Kulturfördervereine soziale Orte und tragen so zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft bei. Sie ermöglichen die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen unterschiedlicher Herkünfte, Generationen, Glaubensrichtungen. Möglich ist dies dank der vielfältigen Stärken und des besonderen Gemeinschaftssinns ihrer Mitglieder. Auch auf die geförderten Institutionen wirkt sich dies positiv aus.
Die Kulturfördervereine vernetzen sich vor Ort mit der Politik und anderen Akteuren und tragen so zur Regionalentwicklung und zur Standortqualität der Kommunen bei.

Zitat aus der Broschüre des DAKU: 
„In einer zukunftsfähigen Zivilgesellschaft tragen Bürger:innen Mitverantwortung für „ihre“ Kultur. Durch ihren persönlichen Einsatz von Zeit und Geld spenden sie wichtige Impulse für den Erhalt und die Fortentwicklung kultureller Werte. Als Multiplikatoren wirken sie einer zunehmenden Entsolidarisierung und Individualisierung entgegen und gestalten den sozialen Wandel.“ Katrin Lorbeer, MUTHEA e. V. – Bundesvereinigung deutscher Musik- und Theater-Fördergesellschaften

Kultur ist kein Luxus. 
Ich würde gerne meinen Begriff von der Bedeutung der Kultur entwickeln. 
Denn in der Debatte scheinen mit zwei Aspekte ein wenig verrutscht zu sein: 

Die dramatische finanzielle Situation, in der sich viele Kulturschaffende befinden, erweckt den Eindruck, als würde Kultur immer nur etwas fordern – nach dem Motto: Die armen brauchen mehr Geld, denn die verdienen ja leider immer so schlecht, weil sich das Ganze nicht rentiert. Und irgendwie sind sie ja auch selber schuld. 

Und das andere Missverständnis ist, dass Kultur ein gesellschaftlicher Luxus sei, den man sich leistet, wenn alles andere finanziert ist, und man dann noch ein wenig Geld übrig hat, sozusagen als Sahnehäubchen: das Opernabo am Samstagabend, weil man das halt so hat. 

Kultur fordert nicht nur Geld – sie nutzt uns allen! Kultur ist ein Standortfaktor, um Facharbeiter und Highpotentials anzuziehen. Kulturinstitutionen sind Leuchttürme, die überregional, ja sogar international ausstrahlen. 

Deutschland hat die höchste Theaterdichte der Welt, die meisten Opernhäuser, die größte Anzahl von stehenden Orchestern: das gibt es nirgendwo sonst auf der ganzen Welt. Deutschland ist hier quasi Weltmarktführer – kein hidden Champion, sondern visible Champion und ein Magnet für Kulturschaffende in aller Welt, die mit glänzenden Augen auf unser Land blicken und hoffen hier ein Engagement zu finden. Da strahlt unser guter Ruf in die ganze Welt. 

Am Badischen Staatstheater arbeiten derzeit 45 Nationen – nicht, weil man jetzt meint, jetzt auch noch das Diversitätsfähnchen schwingen zu müssen, sondern weil diese Menschen aus 45 Nationen einfach die besten sind.

Sie müssten einmal bei einem Vorsingen in der Oper dabei sein, um zu verstehen, wie hart das das Auswahlverfahren ist. Wussten Sie, dass ein Vorspiel im Orchester hinter einer schwarzen Wand stattfindet – da hilft nur höchste Qualität, um da reinzukommen. Und all diese harten Ausbildungen und Castings für eine manchmal nur sehr kurze Karriere: Im Ballett sind sie mit 35/40 Jahren fertig – und müssen sich, nachdem Sie Ihre Jugend und manchmal auch Ihre Gesundheit, der Bühne gewidmet haben, nach einem neuen Beruf umsehen. Ganz normal – und wir lieben das. 

Wie im Sport? Nein, viel besser! Jährlich besuchen hierzulande rund 35 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer mehr als 120.000 Theateraufführungen und 9.000 Konzerte. Das sind deutlich mehr Besucher als in deutschen Fußballstadien (2019: 31 Mill)

In Frankreich gibt es nur ein einziges Theater mit einem stehenden Ensemble, das ist die Comédie Francaise. In Deutschland haben wir in jeder mittelgroßen Stadt ein Theater mit einem festen Ensemble – das muss man sich mal vorstellen: 140 öffentlich getragenen Theater, also Stadttheater, Staatstheater und Landesbühnen. Hinzu kommen rund 200 Privattheater, etwa 130 Opern-, Sinfonie- und Kammerorchester. Wenn Sie bislang darin immer nur die Kosten gesehen haben, lassen Sie sich gesagt sein: Um so eine Infrastruktur beneidet uns die ganze Welt. Das deutsche Stadttheatersystem steht auf der Liste zum immateriellen Weltkulturerbe. Darauf können wir wahrhaftig stolz sein. 

Und sehen Sie es doch mal ganz egoistisch: Das sind „Ihre“ Künstlerinnen und Künstler, Ihre Ballettcompagnien, Ihr Orchester – immer für Sie da und spielen für wenig Eintrittsgeld fast jeden Tag in der Woche die ganze Weltliteratur, berühmte und ausgefallene Choreographien und gesamte Konzertrepertoire. Das konnten sich früher nur Könige leisten! 

Und zu den Kosten: Insgesamt zahlt die öffentliche Hand rund 2 Milliarden Euro für die öffentlich getragenen Theater und Orchester. Dieser Betrag entspricht etwa 0,2 Prozent der Gesamtausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden.

Und in den Museen ist das ja ähnlich: 
Alle Schätze in den Depots und Kunstwerke und Artefakte in den Ausstellungen gehören ja nicht irgendwelchen „denen da oben“, sondern uns – und das bei oftmals eintrittsfreien Tagen 

Man kann nur jeden animieren, sich dieses Schatzes bewusst zu machen. möglichst mit einem lieben Menschen, der lange keinen Besuch mehr bekommen hat, in ein Museum zu gehen und sich das einmal in aller Ruhe anzugucken. Es gehört Ihnen – - uns allen!

Diesen Schatz dürfen wir nicht preisgeben. Und warum: all diese kulturellen Institutionen machen das Leben in unserer Stadt attraktiv – und wirken positiv alle anderen Wirtschaftszweige: z.B. den Tourismus, Hotellerie und die Gastronomie, den Einzelhandel. Insofern zahlt sich jede Investition in die Kultur mehrfach, Stichwort: Umwegrentabilität! 

Wir leben ja in keinen einfachen Zeiten: Die Wirtschaft leidet, der Einzelhandel sendet SOS. Unsere Innenstädte drohen zu veröden und wenn jeder weiterhin nur online bestellt, tja, dann werden wir die Kultur brauchen, um da wieder Leben einzuhauchen. Denn eine Stadt besteht ja nicht nur aus Ladenzeilen, da gehört die Gastronomie ebenso dazu, wie Kinos, Theater, Festivals, Museen und eine bitte möglichst lebendige Offszene, die uns alle staunen macht. Gerade letztere sorgt für den Kultfaktor einer Stadt – der ist für die Immobilienbranche unbezahlbar. Denken Sie an Leipzig und Berlin!

Und jetzt schlage ich noch einmal zeitlich den Bogen zurück, weil es ja immer hilfreich ist, sich mit Geschichte zu beschäftigen. Nach der Wende, als man sich fragte, wer soll das eigentlich alles bezahlen – waren es oftmals Kulturinitiativen, kleine Festivals, oder Denkmalsschutzvereine, die in strukturschwachen Gebieten ein kulturelles Programm hochgezogen haben und damit einer Region wieder Leben eingehaucht haben. Kultur ist nicht nur der Kitt einer Gesellschaft, sondern auch ein Motor. Übrigen wurden 1/3 aller Kulturfördervereine zwischen 2000 und 2009 gegründet. 

Und auch umgekehrt wird ein Schuh draus: Wer in Politik und Wirtschaft auf sich hält, der zeigt sich in Bayreuth auf dem roten Teppich, der eröffnet ein Museum oder schenkt seine Kunstsammlung der Stadt – am besten noch mit einem schicken Museumsgebäude oder gründet eine Kulturstiftung dazu. All das mit dem Wissen und dem Wunsch: etwas wahrhaft Bleibendes zu schaffen will – und auch, um der Gesellschaft wieder etwas zurückzugeben.

Apropos zurückgeben: Kultur ist auch die Währung, mit der auf dem internationalen Parkett bezahlt wird. Fast in jedem Diplomatengepäck reist derzeit ein Museumsobjekt oder ein Kunstwerk mit: entweder ein neues, weil man mit einem angesehenen Künstler dem Gastgeber huldigen möchte. Oder ein altes: weil man vergangenes Unrecht wieder gut machen möchte und unrechtmäßig erworbenes Museumsobjekte wieder zurückgeben möchte. Erst aufgrund dieses wiederhergestellten Vertrauens kann man weiter international zusammenarbeiten.

Wenn derzeit immer nur von Bildung die Rede ist, dann beschränkt sich die Betrachtung auf Schule und Hochschule. Manche denken auch an Kindergärten. Wir alle müssen aber kreativ und leistungsfähig bleiben bis kurz vor 70. Das Stichwort heißt lebenslanges Lernen. Natürlich gibt es viele direkt berufsbegleitende Angebote – aber das ist zu kurz gedacht. Was wir in einer hochkomplexen Welt brauchen, das sind innovative Ideen, Kreativität und Phantasie. Die Fähigkeit, um die Ecke denken zu können, das Unmögliche zu wagen, mutig zu sein – wie ein Kind, das die Welt neu erfindet. Und für die Förderung von Kreativität, Selbstwirksamkeit und Ideenreichtum – dafür bieten die Kultureinrichtungen für jeden ausgefeilte Programme vom Kindergarten bis ins hohe Alter. Und die Fördervereine, die sind oftmals ja nicht nur finanzielle Unterstützer, sondern auch Träger solcher Kultureinrichtungen sind, bemühen sich nach Kräften, jedem ein Angebot zu ermöglichen. 

Ich wünsche wirklich Ihnen allen, nicht nur den Kindern, das Schlüsselerlebnis, einmal mit anderen in einem Chor zu singen und Gemeinschaft zu erleben. Oder auf einer Bühne die Tragfähigkeit seiner Stimme zu erfahren, beim Tanz ein gesundes Körpergefühl zu entwickeln oder in den Bildenden Künsten seiner Kreativität Ausdruck verleihen zu können. Da schlummert in jedem Menschen ein so unglaubliches Potential – und das brauchen wir gerade jetzt. 

Wir können es uns gar nicht leisten irgendjemanden zurückzulassen, ihn nicht mitzunehmen und auf seine Ressourcen zu verzichten. Von daher ist Bildung für mich so viel mehr und es ist beileibe nicht mit der Aushändigung eines Tablets für den Digitalen Unterricht und der Zurverfügungstellung eines zuverlässigen Internets zu Ende. Das ist alles nur die Infrastruktur, auf deren Basis wir kreativ Neues entwickeln. 

Die Kultur – wenn es auch jetzt ein wenig pathetisch klingen mag – ist ein Fest des menschlichen Geistes, seiner Höchstleistungen und manches Mal mit der Aufhebung der bislang bestehenden Gesetze verbunden. Kultur ist nachhaltig – denn sie ist das, was bleibt, wenn wir einmal das Tagesgeschäft und den schnöden Alltag abziehen. Sie hat die unglaubliche Fähigkeit, unsere kleinen Probleme, in denen wir gedanklich feststecken, zu relativieren und uns in größeren Zusammenhängen denken zu lassen. Sie treibt uns an. Daher ist sie eine unendliche Quelle der Ermutigung – und in Krisenzeiten auch eine der Kraft. 

Zum Schluss würde ich mir gerne was wünschen

  • Kultur platzieren und verankern als eine wichtige, als eine unverzichtbare Säule in der gesellschaftlichen Debatte: Kultur ist mehr als Digitalisierung und mehr als Bildung – sie hängt mit allem zusammen. Vor allem aber erlöst sie uns Menschen aus einer rein ökonomischen Zweckgebundenheit und schafft kreative Freiräume, die uns stark machen für die Herausforderungen von morgen. Kultur ist nicht nur der Kitt einer Gesellschaft – sie ist auch ihr Motor. 
  • Zum anderen – ganz einfach: Ich würde ich das Gespräch gerne mit Ihnen fortsetzen – denn was ist Kultur: … Das sind nicht nur Oper, Theater, Konzerte und Museen. Kultur fängt bereits hier an: 
  • Sich gut angezogen abends auf ein Glas Wein zu treffen 
  • Etwas gutes Essen 
  • Gemeinsame Werte teilen 
  • Mit einander reden, Argumente austauschen, sich zuhören. 
    Das ist die vielleicht sogar die wichtigste Technik, die uns die Kultur vermittelt. 

Und heutzutage diejenige, die wir im Geschrei der Populisten, der Kurzdenker, der Weltenmaler in schwarz-weiß am dringendsten brauchen. 

Darauf freue ich mich – auf Sie! 
Vielen Dank fürs Zuhören!


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