Offener Brief
Herrn Matthias Nocke
Geschäftsbereichsleiter Kultur, Bildung & Sport
Sehr geehrter Herr Nocke!
Was wir mit dem Theaterprotest vor zwei Jahren zu verhindern versuchten, nimmt jetzt seinen Lauf: die weitere Ruinierung des Wuppertaler Theaters, einstmals eine der exponiertesten Bühnen der Republik. Das ist das Theater, das eine Pina Bausch und ihre Compagnie hervorgebracht hat, die zum Weltkulturerbe deklariert werden müssten.
Fehler: Die Stadt lässt das Schauspielhaus verrotten, einen der schönsten bundesrepublikanischen Theaterneubauten. In diesem verkommenden Schauspielhaus wird ein Hinterbereich des Foyers einem reduzierten Schauspielensemble als Hauptspielstätte aufgenötigt. Welcher Stadtpolitiker hat sich von diesen Rahmenbedingungen eigentlich eine Zuschauer-Attraktivität versprochen?
Fehler: Nicht zufällig werden beiden künstlerischen Leitern (Opern- und Schauspiel-Intendant) gleichzeitig die Verträge nicht verlängert; die wirklichen Gründe dafür wären zu hinterfragen. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass eine weitere pflegeleichte Schrumpflösung angestrebt wird.
Wuppertal war in seinen besten Zeiten ein durch einen Generalintendanten geführtes Haus (Wüstenhöfer, Matiasek, Freytag). Richtig am Platz wäre ein tatkräftiger und findungsreicher Generalintendant, der zusammen mit der Stadt alle Sparten des Hauses gleichzeitig wieder zum Blühen bringt und dafür als Voraussetzung auch das Schauspielhaus wieder belebt. Das verkommende Schauspielhaus ist kulturell gleichbedeutend mit einer nicht fahrenden Schwebebahn.
Fehler: Aber die Oper soll jetzt geleitet werden durch eine Doppelfunktion von GMD und Operndirektor. Nach allen Erfahrungen wird dabei herauskommen ein dirigentenmäßig domestiziertes Musiktheater von unprätentiöser Langeweile. Dirigenten als künstlerische Leiter sind in der Regel ein struktureller Missgriff. Und der exzellente Stefan Soltesz aus der Nachbarstadt Essen bleibt eine bemerkenswerte Ausnahme und kein nachahmenswertes Beispiel. Auch die Leipziger Oper ist da nur ein verhängnisvolles Vorbild.
Das Wuppertaler Schauspiel wird noch einmal reduziert auf einen Schrumpfbetrieb an einem neuen Ort.
Die Weichen werden kulturpolitisch gestellt durch eine destruktive Vorgehensweise. Der Abbau der Kultur ist eine neoliberale Form der Barbarei. Schade, dass Wuppertal den Kulturinfarkt vorexzerziert.
Prof. Dr. Klaus Pierwoß
1994-2007 Generalintendant des Bremer Theaters und am Welttheatertag
2010 Mitorganisator des Wuppertaler Theaterprotests